23.
Mai
10

Tannenbergmythos

von Ben

Tannenberg! Ein Wort schmerzlicher Erinnerung für deutsche Ordensmacht, ein Jubelruf slawischen Triumphes, gedächtnisfrisch geblieben in der Geschichte trotz mehr als 500jähriger Vergangenheit.

Mit diesen Worten beschreibt Hindenburg in seinen Lebenserinnerungen das Schlachtfeld von Tannenberg und fährt fort: “Ich hatte bis zu diesem Tage das Schicksalsfeld deutscher östlicher Kultureroberung noch nie betreten. Ein einfaches Denkmal zeugte dort von Heldenringen und Heldentod.”

Tannenberg! Ein Ort, ein Schlachtfeld, das in Deutschland einst in einem Atemzug genannt wurde mit Langemarck. Der Ort, an dem Slawentum über Deutschtum siegte und an dem das Reich mehr als 500 Jahre später diese Scharte auswetzte. Und doch scheint der Begriff “Tannenberg” in Deutschland heute keine Bedeutung mehr zu haben.

Im Jahre 1410 standen sich bei Tannenberg die Heere des Deutschen Ordens und des polnischen Königs gegenüber. Anlass des Krieges waren Streitigkeiten um Land, die sich im Fall von Pomerellen bereits seit 1309 hinzogen. Am 15. Juli standen sich nun die verfeindeten Heere gegenüber. Das Treffen endete mit einer katastrophalen Niederlage des Deutschen Ordens und dem Tod des amtierenden Hochmeisters Ulrich von Jungingen. Die Niederlage beendete die expansiven Ambitionen des Ordens und führte in der Folge (auch bedingt durch den Mangel an Heiden in der Umgebung, gegen die man hätte Kreuzzüge führen können) zu einem erheblichen Ansehensverlust des Ordens.

Mehr als 500 Jahre später, zu Beginn des Ersten Weltkrieges, standen sich – wieder in Ostpreussen – preussische und russische Soldaten gegenüber. Ihr Treffen endete mit einer deutlichen Niederlage der russischen Truppen. Diese Schlacht fand statt bei Allenstein, Neidenburg und Hohenstein – auf persönlichen Wunsch des kommandierenden Generals Pauls von Hindenburg ging die Schlacht jedoch als Schlacht von Tannenberg in die Geschichtsbücher ein – und auch das teilt sie mit der Schlacht von Langemarck, die es geographisch betrachtet auch nicht gegeben hat.

Bereits 1901 wurde auf dem Schlachtfeld ein Gedenkstein für den gefallenen Hochmeister errichtet. Er trug die Inschrift “Im Kampf für deutsches Wesen, deutsches Recht starb hier der Hochmeister Ulrich von Jungingen am 15. Juli 1410 den Heldentod.” 1935 wurde die Mythologisierung ergänzt durch das Tannenbergdenkmal, in dem Hindenburg beigesetzt wurde. Das Denkmal wurde 1945 durch die Wehrmacht teilweise gesprengt. Die politische Instrumentalisierung des Leidens und Sterbens fand hier ihren Höhepunkt. Tannenberg war nicht einfach ein Ort von untergeordneter militärhistorischer Bedeutung, Tannenberg war ein Begriff für den späten Triumph des Germanentums und die Rettung Deutschlands vor der slawischen Gefahr. Es ist kein Wunder, dass gerade Tannenberg (als Sieg über die Slawen) und Langemarck (als Opfergang der Jugend) derartige Bedeutung gewannen. Auf polnischer Seite wurde die erste Schlacht bei Tannenberg als Schlacht bei Grunwald zur Chiffre für die erfolgreiche Gegenwehr gegen imperiale Gelüste der Nachbarn Polens (wahlweise Deutschland oder Russland).

Warum aber spielt Tannenberg im Gegensatz zu Langemarck im bundesrepublikanischen Mythenschatz keine Rolle mehr? Vielleicht, weil die Instrumentalisierung als Sieg über die Slawen schlicht nicht mehr opportun ist. Wahrscheinlich aber eher deshalb, weil in der Nachkriegszeit der deutsche Kulturimperialismus eingebettet wurde in einen Gesamteuropäischen Kulturimperialismus. Der “Opfergang der deutsche Jugend” ist vor diesem Hintergrund unproblematisch aber eine Feier des Germanentums ausgeschlossen. Und so gibt es Mythen, die die Zeiten überdauern und andere, die in der Versenkung der Geschichte verschwinden.

Leave a Reply