Untergang der Kindheit?
Infomania nimmt diese Woche Schönheitswettbewerbe aufs Korn – allerdings nicht irgendwelche Schönheitswettbewerbe, sondern solche für Kinder. Kleine Kinder werden in Abendkleider gesteckt, mit Sonnenbräune aus der Dose eingesprüht, von Make-up-Artists (oder ihren Eltern) angemalt und auf Laufstege gestellt, wo sie hinternwackelnd um irgendwelche Schönheitstitel buhlen. In meiner Welt werfen solche Veranstaltungen eine Menge Fragen auf… z. B. wer – außer Paedosexuellen - sich solche Shows ansieht; wer – außer Paedosexuellen – sich dazu hergibt, bei solchen Shows den Preisrichter zu geben; ob es nur die gehässige Szenenauswahl des Infomania-Teams ist, oder ob tatsächlich nur deutlich übergewichtige, minderattraktive Frauen ihre Kinder zu solchen Veranstaltungen schicken; ob das ganze nicht einfach nur ein weiteres Unterschichtphänomen ist und so weiter.
Eine andere Frage finde ich spontan allerdings spannender: Was machen wir mit unseren Kindern? Oder, anders gefasst: Sind diese Shows nur eine weitere Perversion der medial inszenierten Gesellschaft oder bereits ein Zeichen für einen kulturellen Paradigmenwechsel? Seitdem die westlichen Gesellschaften im 19. Jahrhundert die Kindheit erfunden haben, war diese vor allem eins – ein Schutzraum der Kinder gegenüber der Erwachsenenwelt. Eine Zeit, in der die Kinder sich spielerisch und frei von Verantwortung auf das Leben vorbereiten konnten, eine Zeit, in der sie anders waren als die Erwachsenen, was sich nicht zuletzt in der besonderen Kleidung von Kindern widerspiegelt… oder – mit Blick auf vierjährige Mädchen in Cocktailkleidern – widerspiegelte. Gerade im 20. Jahrhundert waren Kinder auch modisch nicht mehr kleine Erwachsene, sondern Menschen in einem vom Erwachsensein deutlich geschiedenen Lebensabschnitt. Dieser Lebensabschnitt wurde in Moderne und Postmoderne durch die Einbeziehung der Jugend immer weiter ausgedehnt, bis er in den heutigen Jugendwahn mündete, in dem eigentlich niemand mehr die Jugend verlassen will.
Was nun in diesen Shows passiert ist das genaue Gegenteil – Kinder werden angezogen und (in gewissen Grenzen) behandelt wie Erwachsene. Man könnte sagen, dass hierdurch den Kindern ihre Kindlichkeit genommen, ihre privilegierte Stellung untergraben wird und alles in allem ein Rückfall im alteuropäische Vorstellungen vorliegt. Andererseits haben wir bereits gesehen, dass Kindheit und Jugend insoweit relativiert sind, als dass körperliche und geistige Jugendlichkeit bis weit in das Erwachsensein erhalten werden. So besehen sind diese Shows nur der konsequente nächste Schritt: zuerst usurpieren die Erwachsenen jugendliche Verhaltensmuster und Kleidungscodes, jetzt stülpen sie den Kindern ihre eigenen Werte, ihre eigenen Maßstäbe über. Was wir hier beobachten ist eine zunehmende Verwässerung der einst klaren Trennung zwischen Kindern/Jugendlichen auf der einen und Erwachsenen auf der anderen Seite. Kinder werden gezwungen, sich erwachsenen Attraktivitätsstandards zu unterwerfen und Fünfzigjährige imitieren die Dresscodes von Teenagern. Es ist meines Erachtens nicht übertrieben hier in der Tat einen kulturellen Paradigmenwechsel zu sehen.
Februar 11th, 2010 at 8:09 pm
Stimme dir vollkommen zu. Es ist schon sehr merkwürdig, wenn kleine Kinder aufgestylt wie Erwachsene rumlaufen und das nicht nur bei Schönheitwettbewerben. Wenn ich z.B. an meiner Schule beobachte, dass viele 5. Klässlerinnen (meistens sinds nur die) schon rumlaufen, wie kleine Erwachsene, ist das schon komisch. So lange ist es auch nich her, dass ich in dem Alter war und irgendwie war man damals noch nicht so aufgestylt …
Februar 12th, 2010 at 12:13 am
Hi Lori,
aus meiner Sicht geht das ganze noch weiter: wenn ich bedenke, dass teilweise heute bereits Kinder Pornos tauschen in einem Alter in dem ich mich noch mit Lego beschäftigt habe… da läuft doch etwas falsch (oder zumindest anders als noch vor 20 Jahren).