14.
Jun
08

Schwarz-rot-goldner Fußballwahn

von Ben

Den Umstand, dass zur Zeit ein großes Fußballturnier stattfindet erkennt man nicht zuletzt an der springflutartigen Zunahme von Nationalfahnen im öffentlichen Raum. An jedem Auto muss ein Wimpel befestigt sein, aus jedem Fenster eine Fahne wehen. Aus einem instinktiven Widerwillen gegen jeden mutwilligen Gebrauch staatlicher Symbole heraus störe ich mich besonders an der Verwendung der Dienstflagge (mit Bundesadler) anstelle der reinen deutschen Farben, die immerhin die Farben des (missglückten) ersten Demokratieversuchs der Deutschen waren. Nun haben die Kroaten vorgestern der schwarz-rot-goldnen (Selbst-)Herrlichkeit einen empfindlichen Dämpfer verpasst, der vielleicht wieder ein wenig Ruhe einkehren lässt. Fast hatte man gestern den Eindruck die deutschen Spieler seien dem alten Irrtum verfallen, ein Sieg über Polen sei eine Garantie für Siege gegen jedermann.

Unabhängig davon, ob man Fußball für einen interessanten Sport hält oder nicht, wirft das aktuelle Aufwallen von Nationalstolz (oder auch Patriotismus) zwei Fragen auf. Warum sollte man als deutscher für die deutsche Nationalmannschaft sein? Und warum ist alle Welt plötzlich so wild darauf (National-)Farbe zu bekennen.

Die zweite Frage ist vordergründig schnell beantwortet. Das Tragen der Mannschaftsfarben, die in diesem Fall die Landesfarben sind, ist ein Bekenntnis zur „eigenen“ Mannschaft, die Dokumentation der eigenen Anhängerschaft und, wie alle Uniformen und Abzeichen, ein Mittel der Gruppenidentifikation. So erhält jeder über die schlichte Maßnahme, Anteil am Schicksal der deutschen Mannschaft zu nehmen und sich in die deutschen Farben zu gewanden, die Möglichkeit, sich als Teil einer großen Gemeinschaft zu fühlen, sich zu verlieren in einer allumfassenden Begeisterung. Und so erfahren schlichte Gemüter alle zwei Jahre ihr kleines 1914-Erlebnis. (Nur am Rande sei hier die Frage aufgeworfen, wie viele Fußballfans sich egentlich darüber bewusst sind, dass sie mit ihrem Verhalten Schande über die eigenen Farben bringen.)

Bleibt aber noch die Frage zu beantworten, warum der Zufall der Geburt quasi automatisch dazu führen sollte, dass man der deutschen Mannschaft anhängt. Natürlich ist grundsätzlich jedermann frei, seine Sympathie nach eigenem Gutdünken zu vergeben, doch wird zum Beispiel die Bemerkung, man könnte sich bei einem direkten Aufeinandertreffen nicht entscheiden, ob man der deutschen oder der portugiesischen Mannschaft den Sieg wünschen solle, für erhebliche Irritationen sorgen (es sei denn man ist Portugiese). Warum aber nicht „Fan“ (wenn man so weit gehen möchte) von Portugal sein, die sowieso den schöneren Fußball spielen? Oder der Iren, deren Kampfgeist den jeder anderen europäischen Mannschaft bei weitem übertrifft? Man kann sich auch zum Fan der Italiener oder Franzosen oder Griechen erklären.

All das ist nach wohl herrschender Meinung einem Deutschen verwehrt, weil er als Deutscher die deutsche Mannschaft zu unterstützen hat. Es handelt sich hierbei quasi um eine nationale Pflicht. Aber was ist, neben dem platten Grund der gleichen Staatsbürgerschaft, wirklich der Grund? Man könnte nun anführen, dass ich im gleichen Land geboren bin wie die deutschen Spieler. Aber abgesehen davon, dass ich diesen Umstand mit vielen Fans teile, die Stolz die türkische Fahne schwenken stimmt es nicht einmal. Das nächste Bindeglied ist natürlich die Sprache. Als treuer Fan aller Deutschsprachigen muss ich mich allerdings zu gleichen Teilen in schwarz-rot-gold und in rot-weiss-rot gewanden und mir das Schweizerkreuz ins Gesicht malen. Das ist also auch keine Lösung. Was begründet also die zur Solidarität nötigende Beziehung zwischen allen Deutschen (im Moment reden wir über Fußball, im Krieg wird es noch schlimmer)? National gesinnte Kreise mögen nun das gemeinsame kulturelle Erbe aller Deutschen anführen. Ich vermute hierbei wird auf die großen deutschen Geister, die das kulturelle Erscheinungsbild Europas prägenden Männer der deutschen Nation angespielt, wie zum Beispiel Mozart (ups, der war ja österreicher), Frisch (ach nee, Schweizer), Kant (stammt aus dem heutigen Russland… sehr schwierig) et al. Ganz abgesehen davon, dass man wohl eher von einem europäischen kulturellen Erbe wird sprechen müssen weise ich darauf hin, dass die meisten deutschen Bildungsbürger (besonders die Kosmopoliten) mehr mit französischen und englischen Bürgern gemeinsam haben, als mit dem deutschen Proletariat (oder heisst das heute Prekariat?).

Wir kommen also zu dem Ergebnis, dass die Anhängerschaft zur deutschen Fußballnationalmannschaft durch nichts weiter begründet wird, als ein diffuses Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit, für das es faktisch keinen Grund gibt, Oder aber durch den verzweifelten Wunsch endlich irgendwo dazuzugehören. Solange sich dieser wiederentdeckte nationale überschwang auf das gemeinsame Erlebnis des sportlichen Sieges oder der sportlichen Niederlage beschränkt, soll es mir recht sein. Allzu schnell jedoch schlägt die Begeisterung um in Feindschaft gegenüber allen anderen (insbesondere nach einer Niederlage) und in das Gefühl benachteiligt worden zu sein. Allzu gerne wird dann die Niederlage nicht der mangelnden eigenen Leistung zugeschrieben, sondern einem parteiischen Schiedsrichter, der die weit überlegene deutsche Mannschaft durch gezielte Benachteiligung um ihren Sieg gebracht habe. Dass der kleine Bruder der Dolchstoßlegende genauso hässlich ist wie diese selbst, bedarf wohl keiner Erläuterung. Dieser Mechanismus, nein diese unausweichliche Folge nationaler Massenbewegung ist der Grund warum jeder Ausdruck schwarz-rot-goldnen (weiss-rot-blauen, halbmond-roten etc) Überschwangs mit Skepsis zu betrachten ist. Ganz besonders dann, wenn man sich die Frage stellt, wie vielen dieser Fahnenschwenker es wohl egal ist, ob ihre Fahne schwarz, rot, gold ist oder , schwarz, weiss, rot.

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