20.
Mai
08

Original oder nicht?

von Ben

Manchmal passiert es, dass man auf Umwegen Einblicke in die Mechanismen erhält, mit denen man nicht gerechnet hätte. In meinem Fall war es die Feststellung des geringen Stellenwertes, den das deutsche Verlagswesen im allgemeinen seinen Übersetzern einräumt.

Ich habe “1967″ von Tom Segev im Buchhandel gesehen und nachdem ich schon “Es war einmal ein Palästina” verpasst hatte wollte ich diesmal direkt zugreifen. Da ich es mir abgewöhnt habe, deutsche Übersetzungen englischer Originale zu lesen, bat ich die Buchhändlerin, herauszufinden, ob das Original auf englisch oder hebräisch veröffentlicht worden sei. Ein Blick ins Buch förderte zutage, dass tatsächlich das Original unter dem Titel “1967. Israel, the war, and the year that transformed the Middle East” erschienen ist. Ich bestelle also brav die englische Version, zahle für meine fremdsprachlichen Ambitionen immerhin zehn Euro mehr und trage schließlich stolz meine Neuerwerbung nach Hause. Und was lese ich, als ich daheim das Buch aufschlage auf dem Titelblatt? “Translated by Jessica Cohen”! Ein kurzer Blick in die bibliographischen Informationen fördert zutage, dass das Buch bereits 2005 in Israel unter dem Titel “1967: Vehaaretz shinta et paneiha” erschienen ist. Dabei drängen sich mir spontan zwei Fragen auf: Warum hängt der deutsche Büchermarkt drei Jahre hinterher? Und noch viel wichtiger: Warum verkauft ein Verlag die deutsche Übersetzung einer englischen Übersetzung eines hebräischen Originals, statt das Original direkt ins Deutsche übersetzen zu lassen? Leben wir denn noch im Mittelalter?

Meine Antwort auf die zweite Frage war schnell gefunden: Übersetzer aus dem Englischen sind schlicht billiger (weil zahlreicher), als Übersetzer aus dem Hebräischen. Und da der deutsche Konsument schlechte Übersetzungen gewohnt ist, ging man wohl davon aus, dass es den Lesern völlig gleich ist, ob sie die Übersetzung eines Originals, oder die Übersetzung einer Übersetzung bekommen. Nun weiss jeder, der sich ein wenig mit Sprach- und Literaturwissenschaft beschäftigt hat (oder sich auch nur mit jemandem unterhalten hat, der sich damit befasst), dass eine Übersetzung immer nur die zweitbeste Lösung ist. Die Übersetzung einer Übersetzung dagegen ist nicht etwa die drittbeste Lösung, sondern eine Unverschämtheit gegenüber den Kunden. Das liegt nicht etwa an der Qualität der Übersetzung – die oft schlecht genug ist – sondern ist schlicht dadurch bedingt, dass jede Übersetzung auch ein Teil Interpretation enthält, so dass die Übersetzung einer Übersetzung gleichzeitig auch die Interpretation einer Interpretation ist. Vom Original bleibt da unter Umständen nur noch wenig erhalten.

Warum wählt nun ein Verlag dennoch dieses Vorgehen? Wie gesagt, es ist billiger. Ein Blick in die deutsche Bücherlandschaft und die Arbeitswelt der Übersetzer zeigt, dass Übersetzer von Ihren Auftraggebern, insbesondere den Verlagen vornehmlich als Kostenfaktor betrachtet werden und nicht als Qualitätsgaranten. So sind sie gezwungen, zu teilweise erbärmlich niedrigen Löhnen in möglichst kurzer Zeit, Übersetzungen abzuliefern. Dass unter diesem Kostendruck die Qualität leidet, versteht sich von selbst. Die besondere Leistung eines Übersetzers, die Eigentümlichkeiten einer fremden Sprache, ihren Witz und ihre ganz speziellen Ausdrucksformen in eine andere Sprache zu übertragen, findet keine Anerkennung. Eindrucksvoll illustriert wird dieser Befund, wenn man die Darstellung des Übersetzers in englischsprachigen Büchern mit der in deutschen Büchern vergleicht. In „1967“ zum Beispiel findet sich der Name der Übersetzerin auf dem Titelblatt, nur geringfügig kleiner gedruckt als der Untertitel. In deutschen Büchern neueren Erscheinungsdatums findet sich der Name des Übersetzers zwar ebenfalls auf dem Titelblatt, doch ist er teilweise kleiner gedruckt, als der Buchinhalt selbst. In älteren Büchern taucht er sogar nur im Rahmen der allgemeinen bibliographischen Informationen auf.

Bedenkt man die Dominanz englischsprachiger Autoren auf dem deutschen Büchermarkt, so nimmt diese Geringschätzung der Übersetzer doch Wunder. Fast scheint es, als hätten die deutschen Verlage nicht begriffen, dass es die Übersetzer sind, die ihnen das Geschäft mit ausländischen Titeln erst ermöglichen. Mit deutschen Autoren allein wäre das überleben der Verlage nicht zu sichern. Aber es gibt Anlass zur Hoffnung. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass die englischen Abteilungen in den Buchhandlungen stetig wachsen. Vielleicht erhalten die Übersetzer ja die Anerkennung, die ihnen zusteht, wenn die Leser in Deutschland mehrheitlich dazu übergehen lieber das englische (oder auch französische oder spanische) Original an Stelle einer schlechten oder auch mittelmäßigen Übersetzung zu lesen. Dann wird eine gute Übersetzung am Büchermarkt einen nicht zu unterschätzenden Wert darstellen und auch die deutschen Verlage werden gezwungen sein, sich ein wenig mehr um ihre Übersetzer zu kümmern.

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