9.
Mrz
08

Bücher: Delizia! The epic history of the Italians and their food

von Ben

Es gibt Bücher, bei denen der Leser spätestens nach der Lektüre (meist jedoch schon währenddessen) feststellt, dass sie nicht halten, was ihr Titel versprochen hat. Delizia gehört glücklicherweise nicht zu dieser Sorte. Wie im Titel offen, und wie der Leser erfährt nicht vollmundig, angekündigt, erzählt Dickie die Geschichte der Italiener und ihres Essens. Anders als man es als Leser geschichtswissenschaftlicher Bücher, die sich tendenziell mit Politik oder Krieg befassen, erwarten würde gelingt es dem Autor auf elegante und unterhaltsame Weise, die Geschichte der italienischen Küche mit der Geschichte des Landes zu verquicken und er führt den Beweis, dass die Entwicklung regionaler Essgewohnheiten tatsächlich beredt Zeugnis ablegen für die politische und gesellschaftliche Entwicklung einer „Nation“.

John Dickie, in Deutschland bekannt durch sein kürzlich auf deutsch erschienenes Buch über die Mafia („Cosa Nostra“), ist Historiker und Journalist und lehrt am University College in London. Nach zahlreichen Veröffentlichungen zur Geschichte und Kultur Italiens (z.B.: A Patriotic Catastrophe - 2005) bleibt er sich auch mit seinem neuen Buch über die italienische Küche zumindest in geographischer Hinsicht treu.

Er eröffnet seine Geschichte der italienischen Küche mit einem Paukenschlag, der zugleich ein immer wiederkehrendes Thema des Buches vorgibt: Er verabschiedet sich von einem der meist verbreitetsten Mythen, die in Bezug auf die italienische Küche bestehen – ihre ländliche Herkunft. Am Beispiel einer Werbekampagne, die diesen Mythos wiedergibt, zeigt er die beeindruckende Realitätsferne solcher Legenden, die nicht nur einem romantisch verklärten Nationalismus, sondern heutzutage vor allem der Werbeindustrie zu verdanken sind. Beide Themen, die Herkunft der heutigen italienischen Küche von der Küche der Städte und des Adels und der lachende Abschied von Küchensagen trifft der Leser in „Delizia“ wiederholt an.

Das erste Kapitel – als würdiger Nachfolger der fulminanten Einleitung – beschäftigt sich gleich mit dem Inbegriff der italienischen Küche – mit Pasta. Es ist allgemein bekannt, dass Nudeln von Marco Polo in Italien eingeführt wurden, aber in diesem Fall könnte man schon fast von Volksunbildung sprechen. Dickie gelingt unter Berufung auf maurische Geographen der Nachweis, dass Pasta secca (getrocknete Nudeln) bereits lange vor Marco Polos (tatsächlicher oder angeblicher) Reise nach China bekannt waren.

Vom mittelalterlichen Sizilien aus nimmt Dickie den Leser mit auf eine Reise durch Zeit und Raum, die über die Zwischenstationen Rom und Ferrara (Renaissance), das Neapel des 17. Jahrhunderts und das faschistische Italien bis in die Moderne führt. Die Reise endet mit einer fröhlichen Kritik der Slow Food Bewegung dort wo sie in der Einleitung ihren Ausgang genommen hat – in der Toscana.

Dickie schreibt, mal mit einem Augenzwinkern, mal mit deutlich sarkastischem Unterton, gleichzeitig der wissenschaftlichen Genauigkeit und dem Lesevergnügen verpflichtet. Der, für ein Buch das für den Massenmarkt bestimmt ist umfangreiche, Anhang macht Lust, sich tiefer mit dem Thema zu beschäftigen und der flüssige Stil ist ein weiteres Beispiel dafür, dass angelsächsische Autoren eher als deutsche bereit sind, Wissenschaft unterhaltsam zu verbreiten. Beispielhaft mag hier die Darstellung einer Ausstellung regionaler Gerichte im Jahr 1938 dienen. Wie die Nationalsozialisten sahen auch die Faschisten im Bauern das Fundament ihrer neuen Gesellschaft und forderten die „Verländlichung“ Italiens. Dennoch präsentierte die Ausstellung von 1938 vornehmlich Städte, allen voran Rom, Venedig und Neapel, in deren „typischen“ Restaurants singende Köche den „Bauern“ und „Matrosen“ Pasta servierten. Und so schließt Dickie mit dem bissigen Kommentar: „Mussolini’s ‘rustic village’ was one of Italy’s first examples of pastoral gastronomic kitsch.“

Ich habe das Buch mit Interesse, Vergnügen und regelmäßigen Hungerattacken gelesen und erlaube mir mit den neu gewonnenen Kenntnissen über die Küchenmoden der letzten Jahrhunderte auch die aktuellen Moden nicht allzu ernst zu nehmen. Jedem, der sich nicht scheut, englische Literatur zu lesen, sei „Delizia“ wärmstens empfohlen. Denen, die den Aufwand scheuen wünsche ich, dass es bald ins Deutsche übersetzt wird.

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