31.
Jan
08

Zeitzeugen

von Ben

Der Zeitzeuge ist bekanntlich der natürliche Feind des Historikers. So gerne man seine Berichte der offiziellen Geschichtsschreibung hinzufügt, und so vorteilhaft ein lebender Zeitzeuge, den man einem hochnotpeinlichen Verhör unterziehen… ich meine natürlich interviewen kann, ist, so störend sind auch die ganzen subjektiven Einwürfe für die wissenschaftliche Diskussion. Man denke nur an die Aufregung um die Wehrmachtsausstellung oder an die Schwierigkeiten der Aufarbeitung der DDR.

Dieses Problem ist Deutschland jetzt zumindest mit Blick auf den Ersten Weltkrieg los. Der letzte deutsche aktive Kriegsteilnehmer starb nämlich am 01. Januar 2008 von Öffentlichkeit und Medien weitgehend unbeachtet im Alter von 107 Jahren in Köln. Dr. Erich Kästner, zufällig ein Namensvetter des deutlich berühmteren Schriftstellers wurde 1900 in Leipzig geboren. Aufgrund der Gnade der späten Geburt blieben Kästner die großen Schlachten des Ersten Weltkriegs allerdings erspart. Er diente vier Monate in einem königlich-sächsischen Infantrieregiment in Flandern, wurde aber anders als viele Altersgenossen, die noch in den letzten Monaten des Krieges das schwer angeschlagene Heer verstärken mussten, nicht in vorderster Linie eingesetzt.

Womit Kästner in der unruhigen Zeit der Weimarer Republik neben seinem Jurastudium beschäftigt war, ist bisher ungeklärt. Die Aussagen seines Sohnes legen allerdings nahe, dass er nicht zu den Freunden der Republik gehörte. Da er angeblich „Wachaufgaben“ an der Leipziger Universität wahrnahm, dürfte meines Erachtens eine Mitgliedschaft in einem Freikorps nicht ausgeschlossen sein.

Während des Zweiten Weltkriegs diente Kästner als Oberleutnant und/oder Major (die Darstellungen gehen auseinander) bei der Luftwaffe und war in Frankreich bei der Flugabwehr sowie später als Stabsadjutant im Oberkommando der Luftwaffe eingesetzt.

Der Kommentator des Spiegel bedauert, dass nun der letzte Zeuge des ersten Weltkriegs gestorben sei und äußert sein Unverständnis darüber, dass Kästner in Deutschland, anders als es in Frankreich oder USA der Fall gewesen wäre, keine besonderen Ehrungen zu teil wurden. Die Frage nach der Notwendigkeit der besonderen Ehrungen für Kriegsteilnehmer in einer zivilen Gesellschaft sei an dieser Stelle dahin gestellt. Das Bedauern über den Tod eines Zeitzeugen kann ich jedoch in gewissen Grenzen nachvollziehen. Ich bedaure im Gegensatz zum Spiegel jedoch weniger den Tod des Kriegsteilnehmers – ich neige nicht zu Geschichten über feldgraue Herrlichkeit – sondern den Tod des letzten Menschen, der vom Ersten Weltkrieg geprägt, den Aufbau und den Untergang der Weimarer Republik miterlebt hat. Mit einem Alter von nichteinmal 33 Jahren zum Zeitpunkt der Machtergreifung Hitlers, gehörte Kästner zur tragenden und vor allem gestaltenden Generation des Dritten Reichs. Menschen wie Kästner hätten den zunehmend geschichtsvergessenen Epigonen, den Kindern des 21. Jahrhunderts vielleicht erklären können, warum sie, nachdem sie die Schrecken eines industrialisierten Krieges erlebt haben, gerade der politischen Bewegung gefolgt sind, die sich vornehmlich durch Menschenverachtung auszeichnete den nächsten Krieg entfesseln sollte.

Insoweit fehlt Kästner Deutschland tatsächlich. Vielleicht sollte sein unbeachteter Tod uns aber in Bezug auf ein anderes prägendes Ereignis der deutschen Geschichte eine Mahnung sein. Zeitzeugen stören schließlich nicht nur die wissenschaftliche Diskussion, sie stören vor allem durch die Authentizität, die ihnen innewohnt, die politische Vereinnahmung und Verfälschung der Geschichte. Daher wird es interessant sein, zu beobachten inwieweit sich das Verhältnis der Deutschen zum Holocaust und zum Zweiten Weltkrieg ändert, wenn in 20 Jahren die letzten Opfer gestorben sein werden und niemand mehr existiert, der einer ignoranten, primitiv-nationalistisch indoktrinierten Schulklasse (oder auch Polizeihochschulklasse) seine Tätowierung auf dem Arm zeigen kann. Vielleicht ändert sich die Haltung der Ignoranten dann von „Es war nicht alles schlecht“ in „So schlimm war es nun auch wieder nicht“. Allein schon aus diesem Grund (und weil mangelnde ideologische Distanz zum Dritten Reich um sich zu greifen scheint) wünsche ich allen, die unter dieser Diktatur leiden mussten ein mindestens ebenso langes Leben wie es Kästner hatte und hoffe, dass sie ihre Erfahrungen wenigstens niederschreiben.

4 Responses to “Zeitzeugen”

  1. Mitschreiber Says:

    Wieder einmal ein hervorragender Kommentar. Ein Inhalt wie er auf Blogs zunehmend selten wird. Schade, daß es hier nicht häufiger was Neues gibt. Aber lieber ist mir natürlich ein Edelstein alle zwei Wochen als ein Halbedelstein jeden Tag. Halbedelsteine haben wir genug.

  2. admin Says:

    Vielen Dank für die Blumen. Ich würde gerne öfter schreiben, aber neben der Arbeit finde ich leider zu selten die Muße dazu.

  3. Yurtdisi Egitim Says:

    mein Deutsch ist nicht gut, is it availible in English

  4. admin Says:

    Not yet I’m sorry to say. But I’ll work on it the next weekend. Unfortunately you will see, that my English is hardly any better than your German.

    Thanks for visiting my site anyway.

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