Küchengeräte und Weltgeschichte
Manchmal gelingt es einfachen Dingen wie Küchengeräten, Einfluss auf den Lauf der Geschichte zu nehmen. Es muss nicht das Wetter sein, dass einen Krieg entscheidet und es müssen nicht immer Armeen sein, die einen Aufstand beenden. 1310 wurde z. B. in Venedig ein Mörser für die Beendigung eines Aufstandes berühmt.
Der Anfang des 13. Jahrhunderts herrschende Doge Pietro Gradenigo hatte sich aus verschiedenen Gründen in der Aristokratie unbeliebt gemacht. So war seine Außenpolitik vor allem durch militärische Niederlagen gekennzeichnet. Die Vorposten im Nahen Osten wurden 1291 vom ägyptischen Sultan Al-Malik Al-Ashraf Chalil erobert, die Kriege mit Padua und Konstantinopel verliefen nicht gerade erfolgreich und 1298 erlitt Venedig zudem eine verheerende Niederlage gegen Genua, bei der 84 von 95 Galeeren verloren gingen. Dass Venedig sich im anschließenden Frieden von Mailand (25.05.1299) dennoch die Vorherrschaft in der Adria sichern konnte änderte nichts daran, dass die Niederlage gegen Genua als schmählich empfunden wurde. Innenpolitisch wurde die Situation Venedigs durch die serrata, ein Gesetz, das die Regeln zur Wahl des Dogen und in den Großen Rat reformierte und langfristig den Bestand Venedigs für weitere 500 Jahre sicherte, konsolidiert. Die serrata verstärkte jedoch die Unzufriedenheit der aristokratischen Familien, die sich bei den letzten Dogenwahlen übergangen fühlten. Auch seine antipäpstliche Politik und sein Hang zum Nepotismus trugen nicht zur Beliebtheit des Dogen bei.
So kam es in den Jahren 1309/10 zu einem Aufstand gegen den Dogen und die Regierung. Die Familien der Querini, Tiepolo und Badoer stellten Truppen gegen den Dogen und die Patrizierfamilien Dandolo, Giustinian und Michiel auf. Die entscheidende Auseinandersetzung fand am 15. Juni 1310 statt. Die Aufständischen marschierten nachts zum Markusplatz wo sich der Dogenpalast befand. Die venezianische Überlieferung berichtet nun, eine alte Frau, Giustina (oder Lucia) Rossi, habe aufgrund des Lärms aus ihrem Fenster gesehen, die Aufständischen erblickt, daraufhin einen Mörser nach deren Standartenträger geworfen und diesen tödlich am Kopf getroffen. Die Fahne sank in den Staub und die Menge, die das Banner fallen sah, zog sich in Unordnung zurück. Den Truppen des Dogen gelang es daraufhin, die Aufständischen zu überwältigen.
Dieser Vorfall hatte Folgen, in persönlicher wie politischer Hinsicht: Die Anführer der Aufständischen wurden – mit Ausnahme von Tiepolo, dem die Flucht gelang – hingerichtet, Giustina Rossi erhielt das Recht, an Feiertagen das Markusbanner von ihrem Fenster wehen zu lassen und die Garantie, dass zeit ihres Lebens ihre Miete nicht erhöht würde und der Große Rat ein neues Überwachungsorgan zur Verhinderung von Aufständen ein, den Rat der Zehn, der sich im Laufe der Zeit zu einer nur beschränkt kontrollierbaren Geheimpolizei entwickelte.
So hat – zumindest der Überlieferung nach – ein Küchengerät den Dogen gerettet, wobei es recht unerheblich ist, ob der Fahnenträger nun von einem Mörser oder anderen Berichten zufolge von einem Kochtopf, einem Blumentopf oder einem Stein erschlagen wurde. Mir als Hobbykoch gefällt natürlich die Version mit dem Mörser am besten. Es sind eben manchmal auch die kleine (aber schweren) Dinge, die den Lauf der Geschichte lenken.
Mai 8th, 2008 at 1:38 pm
Ziemlich amüsant! Mörser haben in späteren kriegerischen Auseinandersetzungen zwar häufig eine Rolle gespielt. Dieser hier ist aber sicher der einzige Mörser, dem man seine tödliche Wirkung nicht sofort angesehen hat - und der einzige, der von einer wütenden Oma abgefeuert wurde.