29.
Aug
10

Von Freilassung und Selbstbefreiung

von Ben

In der Vergangenheit bin ich wiederholt in die Diskussion geraten, ob sich ein Mann berechtigterweise als Feminist bezeichnen könne (online hier und hier). Meine bisherige Haltung dazu war – in aller Kürze wiedergegeben – dass diese Selbstbezeichnung falsch sei, da der Feminismus der theoretische Überbau der Frauenemanzipation sei, die Emanzipation aber die Selbstbefreiung der Frauen sei und man als “Unterdrücker” nicht Teil der Befreiungsbewegung, sondern höchstens Sympathisant sein könne. Dieses Verständnis von Emanzipation ist natürlich der etymologischen Prüfung wert und… hält ihr nicht stand.

Nach dem Online Etymology Dictionary leitet sich der Begriff vom lateinischen emancipatus ab, was das Partizip Perfekt Passiv von emancipare ist. Emancipare wiederum setzt sich zusammen aus ex (aus, heraus) und mancipare (liefern, übertragen, verkaufen), das sich von mancipum (Eigentum), bestehend aus manus (Hand) und capere (nehmen). Emancipare bedeutet, “jemanden zum Freien erklären” oder “seine Autorität über jemanden aufgeben”. Der emancipatus ist dementsprechend der aus der Autorität eines anderen Entlassene. Im römischen Recht betrifft das allerdings vornehmlich Vorgänge innerhalb der Familie, also die Freilassung eines Kindes oder der Ehefrau. Der Etymologie nach ist die Emanzipation also ein aktiver Vorgang des Herrschenden, eben eine Freilassung, keine Selbstbefreiung.

Dieses Verständnis wirft aber ein (für mich) neues Licht auf die großen Emanzipationsbewegungen der letzten drei Jahrhunderte: die Emanzipation der Afroamerikaner (Abschaffung der Sklaverei 1865 und Kampf um Gleichstellung in den 1960ern), der Juden (Erhalt der Bürgerrechte 1776 bis 1874) und der Frauen (Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute). Gerade im Zusammenhang mit der Emanzipation der Afroamerikaner und der Frauen wird von Mitgliedern dieser „Gruppen“ gerne der eigene aktive Anteil betont und die Geschichte als eine Geschichte der Selbstbefreiung erzählt. Nicht, dass Selbstbefreiung unmöglich wäre. Die französischen Bürger haben sich selbst von der Ständegesellschaft befreit, die Afrikaner haben sich (soweit notwendig) von ihren Kolonialherren befreit, Griechenland hat sich von der Besetzung durch die Türken befreit. Allen diesen Fällen ist gemeinsam, dass die Selbstbefreiung erreicht wurde durch bewaffneten Kampf gegen die Herrscher. Das Joch wurde gewaltsam abgeschüttelt.

Was die drei genannten Emanzipationsbewegungen gemeinsam haben ist aber gerade das Fehlen von Gewalt. Nicht, dass es nicht zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen wäre, aber die Abschaffung von Herrschaftsstrukturen durch Gewalt, die die genannten Selbstbefreiungen charakterisiert, hat in dieser Form nicht stattgefunden. Vielmehr wurde in allen Fällen die Freiheit durch Unterstützung aus der “Herrschergruppe” und durch mehrheitliche Billigung der Befreiung durch die Herrscher erreicht. Afroamerikaner, Juden und Frauen haben sich eben nicht selbst befreit, sie wurden durch die/das herrschende Rasse, Religion, Geschlecht in die Freiheit entlassen. Und hier widerspricht das landläufige Verständnis des Begriffs „Emanzipation“ nicht nur seinen Wurzeln, sondern auch der historischen Realität.

Schmälert diese Einsicht nun das Verdienst der entsprechenden Bewegung, weil sie ihre Freiheit nicht selbst erkämpft, sondern von den Herrschern geschenkt bekommen haben? Unsinn. Natürlich beruhte die Freilassung darauf, dass die Unterdrückten für diese Freilassung gekämpft haben. Aber dieses Verständnis von Emanzipation bringt es mit sich, dass man auch als Weißer, Christ, Mann sich als Teil dieser Bewegung und ihres theoretischen überbaus bezeichnen kann. Daher nehme ich hiermit Abstand von der Behauptung, ein Mann könne kein Feminist sein.

4 Responses to “Von Freilassung und Selbstbefreiung”

  1. DrNI Says:

    Die aktuelle Bedeutung eines Wortes wird nicht durch seine Etymologie sondern durch seine Verwendung bestimmt, also durch die bewusst oder unbewusst gewählte Konvention der Sprecher (bzw. Schreiber). Im Lauf der Zeit ändern manche Wörter ihre Bedeutung oder sie erhalten zusätzliche Bedeutungen. Beispiele: Die Adjektive “geil” und “fett”.

  2. drei Hälften Says:

    Du kannst dir vorstellen, dass mir das heute morgen ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Ich finde etymologische Herleitungen immer schwierig, weil es letztlich nicht darauf ankommt, was ein Begriff ‘ursprünglich’ bedeutet, sondern darauf, wie er tatsächlich verwendet wird. Und da zeigst du mal schön auf, was Emanzipation wirklich bedeutet. Das ist übrigens der Grund, warum ich ganz schnell lieber Feministin als ‘Emanze’ sein wollte, nachdem ich mich damit mal länger beschäftigt hatte.

  3. Ben Says:

    Natürlich ist die Aussagekraft etymologischer Herleitungen begrenzt und Wortbedeutungen unterliegen der Änderung. Mit Blick auf die Emanzipationsbewegungen ging es mir auch nur um die Diskrepanz zwischen Wortherkunft und damit übereinstimmender historischer Faktenlage einerseits und der aktuellen Bedeutung und der damit einhergehenden Mythenbildung andererseits.

    @drei Hälften:
    Wenn meine Prämisse stimmt, dass der Feminismus der theoretische Überbau der Frauenemanzipation ist, kann man dann überhaupt sinnvoll zwischen “Emanze” und “Feministin” unterscheiden?

  4. drei Hälften Says:

    Hm, gute Frage. Also für mein (wohl sehr spezielles) Sprachgefühl ist ersteres deutlich abwertender. Deshalb bin ich da ganz klar gebunden. Mir erscheint diese Bezeichnung außerdem stärker auf die eigene Person ausgerichtet als ‘Feministin’. Und ich habe lieber das große ganze im Blick und will mich bei der Geschlechterfrage nicht auf individuelle Entscheidungen und Praktiken reduzieren. Denn es ist manchmal gar nicht so leicht, aus den bekannten Mustern auszubrechen oder den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu handeln, egal ob das jetzt ‘emanzipiert’ ist oder nicht.

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