Marxistische Wissenschaft?
Samstag, März 6th, 2010Mir fiel letzthin ein Buch über die Reichswehr in der Weimarer Republik (Karl Nuß, Militär und Wiederaufrüstung in der Weimarer Republik, Berlin, 1977) in die Hand, dessen vornehmlicher Wert allerdings nicht in seiner Darstellung der Reichswehr sondern eher in seinem Quellencharakter liegt: Bereits auf der ersten Seite des Vorwortes entlarvt der Autor bereits die verquere Weltsicht dessen, was einst als marxistische Geschichts“wissenschaft“ galt. So schreibt er:
dass jene Verschwörung… die später zum zweiten Weltkrieg und zum verbrecherischen überfall Hitlerdeutschlands auf den ersten sozialistischen Staat der Erde führte…
Es ist mir dabei völlig gleich, ob Faschismus und Krieg die notwendigen Konsequenzen aus Monopolkapitalismus und Krieg sind, aber man beachte die Reihenfolge. Nicht nur, dass der überfall auf die Sowjetunion aus dem Gesamtzusammenhang des zweiten Weltkrieges herausgelöst und faktisch dem zweiten Weltkrieg als qualitativ gleichwertig beigestellt wird, nein, die Nennung des überfalls auf die Sowjetunion an zweiter Stelle impliziert auch noch die größere moralische Verwerflichkeit dieses Vorgangs. Die Aufzählung von Nuß könnte genauso gut heißen “… nicht nur zum Zweiten Weltkrieg, sondern sogar zum überfall…”. Deutlicher kann man den Kotau vor der UdSSR kaum vollziehen. Aber es geht noch weiter:
Aggressionspolitik und Kriegsgefahr sind dem Imperialismus wesenseigen; die Bedrohung der Menschheit durch sie hört erst auf, wenn es keine Ausbeuterklassen mehr gibt.
Also die klassenlose Gesellschaft verhindert Aggressionskriege? Und die UdSSR war eine klassenlose Gesellschaft? Was war dann der überfall der Sowjetunion auf Finnland 1939? Eine Polizeiaktion? Der Einmarsch in Afghanistan? Entwicklungshilfe? Oder noch früher: die übergriffe auf deutsches Reichsgebiet 1918? Ein Präventivschlag?
So sehr der Autor auch mit vielen anderen Äußerungen recht hat, so sehr wird die gesamte Darstellung durch die ideologische Fixierung entwertet. Dafür zeigt das Buch aber eindrücklich, wie wenig Wissenschaft wert ist, wenn die Ergebnisse der Forschung aus ideologischen Gründen von vornherein feststehen. Meine Zweifel daran, dass es in der aktuellen Wissenschaft so viel ideologiefreier zugeht, lasse ich unausgeführt.