Mal wieder der DDR-NS-Vergleich
Dienstag, Juni 24th, 2008Die Wahl des Bundespräsidenten schlägt Wellen und nach Monika Maron, die in der FAZ gegen Gesine Schwan Stellung bezog, hat sich am 17.06. Gerd Roellecke, emeritierter Ordinarius für öffentliches Recht an der Uni Mannheim in der gleichen Zeitung zu Wort gemeldet. So weit er mit seinem Hinweis, über die Wahl des Präsidenten sollten persönliche Qualifikationen entscheiden, recht hat, so sehr reizt mich aber seine Vorstellung von der Integration ehemaliger NS- und DDR-Funktionäre zum Widerspruch. Roellecke schreibt:
Als sich die frühere DDR der Bundesrepublik anschloss, war klar, dass auch die früheren DDR-Funktionäre in die Bundesrepublik integriert und rechtlich gleich behandelt werden mussten. Aus vielen Gründen – die Ossi-Jammerei gehört dazu – war diese Integration noch schwieriger als die der früheren NS-Funktionäre. In beiden Fällen ist allerdings die Selbstgerechtigkeit der öffentlichen Meinung erheblich größer als die Gefährlichkeit der Funktionäre. Die meisten früheren NS-Funktionäre haben brav beim Aufbau der Bundesrepublik geholfen, die früheren DDR-Funktionäre weniger.
Mit dem letzten Punkt hat Roellecke wohl recht. Die ehemaligen NS-Funktionäre haben schon allein deshalb braver am Aufbau der BRD mitgewirkt als die ehemaligen DDR-Funktionäre, weil im Gegensatz zur Nachkriegszeit die BRD nach der Wende keines Aufbaus, an dem die DDR-Funktionäre hätten teilhaben können, bedurfte. Jenseits solcher Sophistereien gibt es jedoch einen grundlegenden Unterschied zwischen der Behandlung der NS-Funktionäre und der der DDR-Funktionäre. Die “ehemaligen” Nazis beteiligten sich am Neuaufbau eines zerstörten Staates, aber sie taten es aus der Mitte einer schwer angeschlagenen Gesellschaft heraus. Kaum einer der NS-Funktionäre musste in die Gesellschaft der BRD integriert werden, weil sie von Beginn an Bestandteil der Gesellschaft waren. Eine wie auch immer geartete Ausgrenzung ehemaliger Funktionäre oder wenigstens der Mörder unter ihnen hat nur begrenzt stattgefunden und die Bereitschaft, sich ernsthaft mit dem Dritten Reich und seinen Verbrechen auseinander zusetzen besteht erst seit 1968. So kam es nach dem von den Alliierten betriebenen hoch motivierten Anfang im Rahmen der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse zu keiner ernsthaften Strafverfolgung mehr und auch gesellschaftliche oder dienstrechtliche Konsequenzen wurden nur in Ausnahmefällen gezogen. Von allen Hochschullehrern, die im Dritten Reich dem Nationalsozialismus gedient hatten verloren nur Heidegger und Carl Schmitt ihre Lehrstühle. Und von den vielen Richtern, die in den Jahren 1933 bis 1945 mit allzuoft tödlichem Ausgang Unrecht gesprochen hatten, wurde nicht ein einziger Verurteilt. Damit korrespondiert die einseitige Zuweisung aller “Schuld” an die Führungsebene von NSDAP und SS und die Bechränkung jeden Verdachts auf verbrecherisches Handeln auf die SS. Außerhalb von Historikerkreisen wurden die vielen Verbrechen, die von Angehörigen der Wehrmacht begangen wurden erst Mitte der 1990er Jahre einer breiteren öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen. Und nicht ein einziger SA- oder Stahlhelmmann, der in den Jahren 1932 bis 1934 an der Ermordung von Kommunisten, Sozialdemokraten oder Gewerkschaftern beteiligt war, wurde für seine Taten zur Verantwortung gezogen. Dieses Klima des Wohlwollens gegenüber dem Nationalsozialismus wird unterstrichen durch eine Umfrage aus dem Jahr 1955 bei der immerhin 42% der Befragten die Jahre 1933 bis 1939 als die Zeit nannten, in der es Deutschland am besten gegangen sei.
Im Gegensatz dazu standen die DDR-Funktionäre nach der Wende vor der Situation, dass ihr Staat von einem fremden Staat übernommen worden war. Ein Gesellschaftssystem, das 40 Jahre Bestand gehabt hatte, war quasi über Nacht in der Versenkung der Geschichte verschwunden und der feindliche Kapitalismus hatte triumphiert. Für die DDR-Funktionäre hieß es nun nicht, einen neuen Staat aufzubauen (was viele Oppositionelle 1989 noch geplant hatten), sondern sich in ein bestehendes System einzufinden. An der Feindseligkeit dieses Systems dürften keine Zweifel bestehen. Trotz aller Ostalgie und Verklärung ist es in der demokratischen Bundesrepublik herrschende Meinung, dass der auf Abschottung gegen Westen und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung aufgebaute DDR-Sozialismus ein verbrecherisches System war. Die juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung insbesondere der Verstrickung vieler Menschen mit dem Apparat der Staatssicherheit ist noch lange nicht abgeschlossen. Aber es ist offenkundig, dass die Verwendung von Stasimitarbeitern im öffentlichen Dienst einen weit größeren Skandal verursacht, als die Verwendung von Mitarbeitern der SS, des Sicherheitsdienstes oder der Gestapo in den 1950er Jahren.
Der Umgang mit ehemaligen DDR-Funktionären (zu denen man sogar die Bundeskanzlerin zählen könnte, die während ihrer Tätigkeit an der Akademie der Wissenschaften Sekretärin für Agitation und Propaganda bei der FDJ war) ist sicher richtig, in manchen Fällen vielleicht sogar zu zurückhaltend. Mit Sicherheit ist er aber nicht so wohlwollend wie der Umgang mit ehemaligen NS-Funktionären in den Anfangsjahren der Bundesrepublik. Eine pauschale Gleichsetzung verbietet sich daher und sollte gerade einem Gesellschaftswissenschaftler nicht unterlaufen.