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Grundsätzliches zum Tod

Sonntag, Februar 7th, 2010

In unserer an Diskussionen und (ge-)wichtigen Auseinandersetzungen so reichen Zeit gibt es dennoch ein Thema, mit dem sich – so scheint mir – niemand auseinandersetzen will: den Tod. Ganz gleich, ob man den Tod als das absolute Ende einer individuellen Existenz begreift, oder dem einen oder anderen religiösen Konzept folgend als übergang zu einer anderen Form von Leben, vermeidet der Mensch der westlichen Gegenwart dennoch die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, in extremen Fällen sogar jedes Gespräch über den Tod an sich. Die Attentäter von Madrid haben in ihrem Bekennerschreiben die Parole ausgegeben “Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod” und damit bereits den Finger auf die Wunde der zeitgenössischen Mentalität gelegt: Sie mögen den Tod nicht wirklich lieben, aber wir wollen uns auf keinen Fall damit beschäftigen. Der westliche Mensch versucht, sich auf das Leben zu konzentrieren, allein das Leben wahrzunehmen. Als Indiz hierfür sei nur darauf hingewiesen, dass es zwar eine Flut von Normen gibt, die die Selbstbestimmtheit des Lebens und den Schutz des Lebens regeln, dass aber der Tod als Regelungsgegenstand in der Rechtssetzung weitgehend ausgeklammert wird.

Hierfür gibt es meines Erachtens drei Gründe: die mangelnde Vorstellbarkeit des eigenen Todes, die mangelnde Gegenwärtigkeit des Todes und schließlich die moderne, aufgeklärte Illusion der vollständigen Beherrschbarkeit der Natur.

Dass der eigene Tod nicht vorstellbar sein soll, mag im ersten Moment überraschen, leuchtend jedoch bei genauerer Betrachtung durchaus ein. 1915 bereits schrieb Freud in „Zeitgemäßes zu Krieg und Tod“:

Der eigene Tod ist ja auch unvorstellbar, und sooft wir den Versuch dazu machen, können wir bemerken, dass wir eigentlich als Zuschauer weiter dabeibleiben.

Sich jedoch mit etwas auseinanderzusetzen, was derart das eigene Vorstellungsvermögen übersteigt ist nicht nur mühselig, sondern übersteigt womöglich schlicht die Fähigkeit vieler Menschen.

Der zweite Grund, warum eine Auseinandersetzung mit dem Tod nicht stattfindet, ist meines Erachtens in der mangelnden Gegenwärtigkeit des Todes zu suchen. In der westlichen Gesellschaft findet der Tod – wenn man ehrlich ist – nur hinter verschlossenen Türen statt. Der Tod ist nicht nur extrem privat, er ist geradezu unanständig. Und während jedermann seine Mitmenschen freizügig am eigenen Sexualleben teilhaben lässt, wird der Tod aus der öffentlichkeit verbannt und begegnet uns nur noch in Todesanzeigen.

Der dritte und aus meiner Sicht wichtigste Grund ist jedoch, dass der moderne Mensch sich weigert, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, weil die Zerstörung einer liebgewonnenen Illusion, die Vernichtung eines die eigene Identität bestimmenden Mythos befürchtet. Im Gefolge von Aufklärung und wissenschaftlich-technischem Fortschritt ist der Mensch der Moderne zu der überzeugung gelangt, die Natur und das eigene Leben unterlägen allein seiner Kontrolle. Allein er habe darüber zu entscheiden, was in seinem Leben passiert, allein er habe darüber zu befinden, was in der Natur abläuft. Neben der einen oder anderen Naturkatastrophe, die glücklicherweise immer weit weg von Europa stattfinden, ist es der individuelle Tod, der den Menschen den Selbstbetrug vor Augen führt, die Seifenblase der Selbstbestimmtheit zum Platzen bringt und die grausame Wahrheit ans Tageslicht zerrt: dass nämlich der Tod nicht nur allgegenwärtig ist, nicht nur “Teil” des Lebens, sondern Grundvoraussetzung des Lebens ist so wie wir es kennen. Nur der Tod erzwingt Reproduktion, nur der Tod ermöglicht den Wechsel individuellen Lebens und so besehen verdanken wir alle unser Leben dem Tod unserer Vorfahren.

Dass sich der moderne Mensch dieser Erkenntnis verschließt führt meines Erachtens dazu, dass nicht nur ein bedeutender Teil menschlichen Lebens nicht wahrgenommen wird, sondern geradezu dazu, dass das einzelne Leben verarmt. Und so gilt es zum Abschluss wieder, Freud zu zitieren:

Si vis vitam, para mortem.

Willst Du das Leben erhalten, bereite Dich auf den Tod vor.

Untergang der Kindheit?

Sonntag, Januar 24th, 2010

Infomania nimmt diese Woche Schönheitswettbewerbe aufs Korn – allerdings nicht irgendwelche Schönheitswettbewerbe, sondern solche für Kinder. Kleine Kinder werden in Abendkleider gesteckt, mit Sonnenbräune aus der Dose eingesprüht, von Make-up-Artists (oder ihren Eltern) angemalt und auf Laufstege gestellt, wo sie hinternwackelnd um irgendwelche Schönheitstitel buhlen. In meiner Welt werfen solche Veranstaltungen eine Menge Fragen auf… z. B. wer – außer Paedosexuellen - sich solche Shows ansieht; wer – außer Paedosexuellen – sich dazu hergibt, bei solchen Shows den Preisrichter zu geben; ob es nur die gehässige Szenenauswahl des Infomania-Teams ist, oder ob tatsächlich nur deutlich übergewichtige, minderattraktive Frauen ihre Kinder zu solchen Veranstaltungen schicken; ob das ganze nicht einfach nur ein weiteres Unterschichtphänomen ist und so weiter.

Eine andere Frage finde ich spontan allerdings spannender: Was machen wir mit unseren Kindern? Oder, anders gefasst: Sind diese Shows nur eine weitere Perversion der medial inszenierten Gesellschaft oder bereits ein Zeichen für einen kulturellen Paradigmenwechsel? Seitdem die westlichen Gesellschaften im 19. Jahrhundert die Kindheit erfunden haben, war diese vor allem eins – ein Schutzraum der Kinder gegenüber der Erwachsenenwelt. Eine Zeit, in der die Kinder sich spielerisch und frei von Verantwortung auf das Leben vorbereiten konnten, eine Zeit, in der sie anders waren als die Erwachsenen, was sich nicht zuletzt in der besonderen Kleidung von Kindern widerspiegelt… oder – mit Blick auf vierjährige Mädchen in Cocktailkleidern – widerspiegelte. Gerade im 20. Jahrhundert waren Kinder auch modisch nicht mehr kleine Erwachsene, sondern Menschen in einem vom Erwachsensein deutlich geschiedenen Lebensabschnitt. Dieser Lebensabschnitt wurde in Moderne und Postmoderne durch die Einbeziehung der Jugend immer weiter ausgedehnt, bis er in den heutigen Jugendwahn mündete, in dem eigentlich niemand mehr die Jugend verlassen will.

Was nun in diesen Shows passiert ist das genaue Gegenteil – Kinder werden angezogen und (in gewissen Grenzen) behandelt wie Erwachsene. Man könnte sagen, dass hierdurch den Kindern ihre Kindlichkeit genommen, ihre privilegierte Stellung untergraben wird und alles in allem ein Rückfall im alteuropäische Vorstellungen vorliegt. Andererseits haben wir bereits gesehen, dass Kindheit und Jugend insoweit relativiert sind, als dass körperliche und geistige Jugendlichkeit bis weit in das Erwachsensein erhalten werden. So besehen sind diese Shows nur der konsequente nächste Schritt: zuerst usurpieren die Erwachsenen jugendliche Verhaltensmuster und Kleidungscodes, jetzt stülpen sie den Kindern ihre eigenen Werte, ihre eigenen Maßstäbe über. Was wir hier beobachten ist eine zunehmende Verwässerung der einst klaren Trennung zwischen Kindern/Jugendlichen auf der einen und Erwachsenen auf der anderen Seite. Kinder werden gezwungen, sich erwachsenen Attraktivitätsstandards zu unterwerfen und Fünfzigjährige imitieren die Dresscodes von Teenagern. Es ist meines Erachtens nicht übertrieben hier in der Tat einen kulturellen Paradigmenwechsel zu sehen.

Randnotiz zur Literalisierung

Sonntag, Januar 10th, 2010

Gemeinhin ist ja bekannt, dass Frauen diskriminiert werden, nicht die gleichen Bildungschancen haben und eine Angleichung der Lebensverhältnisse erst in den letzten 30 Jahren stattgefunden hat. Insbesondere ist aber allgemein bekannt, dass “früher” (nein, nicht alles besser war) Frauen geradezu bewusst “dumm” gehalten wurden. Individuelle Ausnahmen bestätigen hier nur die Regel. Eine Ausnahme allerdings hat mich wirklich überrascht: in den industriell unterentwickelten ruralen Gebieten Englands hat sich Ende des 19. Jahrhunderts der Literalisierungsprozess alles andere als “normal” entwickelt. Während nämlich zwischen 1860 und 1914 die Alphabetisierung der Männer kaum Fortschritte machte, schritt die Literalisierung der Frauen nicht nur schneller voran, sondern übertraf die der Männer. Das ist der einzige mir bekannte Fall, einer gegenüber der männlichen h&ouml,heren weiblichen Literalitätsrate in Europa vor dem 20. Jahrhundert. Worauf diese Entwicklung zurückzuführen ist, weiss ich allerdings nicht.

Zitat des Tages: Schiller

Samstag, Januar 9th, 2010

Der Nutzen ist das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht, und, aller Aufmunterung beraubt, verschwindet sie vom lärmenden Markt des Jahrhunderts.
(Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 1795)

Man könnte meinen, er beschriebe das 21. Jahrhundert. Das nenne ich Aktualität.

Gerade gefunden: Shaw zur englischen Sprache

Dienstag, Dezember 22nd, 2009

An manchen Tagen laufen einem die witzigsten Dinge über den Weg: angeblich soll Georg Bernard Shaw einmal gesagt haben, im Englischen könne man “fish” eigentlich auch “ghoti” schreiben. Die Lautwerte verteilen sich dann wie folgt: “gh” wie in laugh, “o” wie in women und “ti” wie in station. Und da heisst es immer, Deutsch sei eine schwere Sprache.